002 Sonnenuntergang von unserer Dachterrasse in Sidi Bou Said

TunesienJoanaweb
von Joana Breitbart am 01.12.20
Reisewochen 9-12 (31.10.20 - 01.12.20)
Land: Tunesien
Kilometer 6600-8800
Fahrstunden 121-162
2200 km in 42 Stunden in 31 Tagen

 

Aufgeregt, voller Vorfreude und positiver Anspannung vor dem, was da vor uns liegt, stehen wir an Deck der Grimaldi Fähre und sehen zu, wie die weißen Häuschen von Tunis immer näher kommen. Afrika - Da liegt es vor uns! Wohingegen Josh ja schon viel Afrika Erfahrung hat, ist es für mich das erste Mal, ich war noch nie auf diesem Kontinent. Umso gespannter bin ich, was uns dort erwartet. Von der Fähre sind wir zügig runter, die Papiere sind auch schnell gecheckt, der negative Corona Test begutachtet… aber die Polizei winkt uns zur Seite, wir müssen warten. Sie staunen nicht schlecht, die Beamten, als da tatsächlich zwei echte Reisende vor ihnen stehen, sie haben nämlich Corona bedingt seit über einem halben Jahr keine mehr gesehen. Sie sind super freundlich und wollen uns helfen, aber es gibt da ein Problem. Nach einigem Hin und Her erklären sie uns, wir bräuchten, damit wir den Einreisestempel bekommen, einen festen Ausreisetermin. Am besten ein Rückfahrticket mit der Fähre, welches wir natürlich nicht haben, denn wir wollen ja nicht zurück. Ohne geht es allerdings nicht rein. Ratlosigkeit macht sich breit. Wir können auch keines kaufen, denn dazu müssten wir aus dem Hafen raus, was wir aber nicht dürfen, da wir noch gar nicht offiziell eingereist sind. Online buchen geht nicht, da weder Internet noch Drucker zur Verfügung stehen. Schließlich bietet uns der Polizeichef an, einen seiner Mitarbeiter zu schicken, um uns die Tickets zu kaufen. Was aber auch bedeutet, einem völlig Fremden eine Menge Geld in die Hand zu drücken. Aber was bleibt uns anderes übrig, es sieht aus als wäre es tatsächlich die einzige Lösung. Natürlich merkt der Chef, dass wir der ganzen Sache nicht so wirklich trauen und kriegt sich deswegen mit Josh ordentlich in die Haare. Ich befürchte schon Schlimmeres, aber nach einem kurzen heftigen Streit, in dem der Beamte erklärt, dass seine Ehre ihm sehr wichtig sei und Josh ihm erklärt, dass er sich nicht gerne verarschen lässt, haben sie sich wieder versöhnt. Der Mitarbeiter kommt schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit mit den Tickets zurück und wir bekommen nach geschlagenen vier Stunden im Hafen endlich unsere Stempel in den Pass. Wichtig ist den Beamten auch die Buchung einer Unterkunft, denn wir müssen trotz des negativen Tests noch zusätzlich 14 Tage Quarantäne einhalten. Wir fahren also zu unserer Wohnung in Sidi Bou Said, einem der bekanntesten Stadtteile von Tunis und zu normalen Zeiten mit Touristen vollgestopft. Jetzt aber sind wir weit und breit die einzigen und die Preise sind daher sehr niedrig, wodurch wir uns eben mal eine komplette Wohnung mit Dachterrasse und wunderbarem Ausblick über ganz Tunis leisten können. Hier verbringen wir in herrlicher Ruhe unsere Quarantäne. Der tägliche Ruf des Muezzins stimmt uns schon mal ein bisschen auf die fremde Kultur ein.

 

Wir können es anschließend kaum noch erwarten, endlich das Land zu erkunden. Nachdem wir in und um Sidi Bou Said jede Ecke und Gasse und natürlich jeden Strand kennen, führt uns unsere erste Etappe raus aus der Großstadt. Wir fahren östlich in den Ichkeul National Park, wo wir hoffen viele Vögel und Flamingos zu sehen. Auf dem Weg dahin bekomme ich meinen allerersten Eindruck von Afrika: Unter den Stollen meist unbefestigte, namenlose Wege aus Sand und Staub, in der Nase ein abenteuerlicher Geruchscocktail aus Lagerfeuer und unvollständig verbranntem Zweitaktgemisch, aus frischen Früchten und am Straßenrand entsorgten Unrat, über allem lacht die Sonne und vor allem lachen uns viele freundliche aber auch gezeichnete Gesichter entgegen. Alles sehr chaotisch und improvisiert, doch auf einmalige Weise schön und funktionell. Wir hatten zu Beginn ein bisschen Bedenken, dass die Menschen hier Fremden gegenüber gerade etwas negativ gestimmt sein könnten, da sie vielleicht befürchten, dass wir als Deutsche noch mehr Corona in ihr Land bringen könnten. Die Zahlen würden dafür sprechen, doch bereits nach den ersten Kilometern ist diese Angst wie weg geblasen. Überall wo wir anhalten, werden wir sehr herzlich empfangen, die Leute freuen sich endlich mal wieder Reisende zu treffen. Mal wieder etwas aus der Welt zu erfahren, was anderes zu sehen. Für mich ist das alles sehr exotisch, doch in Wahrheit sind wir hier die Exoten.
006 Ichkeul NationalparkÜber einen kleinen Bergpass erreichen wir den halb ausgetrockneten See des Parks. Josh ist so begeistert, dass er gleich hier das Zelt aufbauen will. Ich bin zwar erst nicht so überzeugt, da uns auf der freien Fläche absolut jeder sofort sehen kann, aber nach kurzer Diskussion bauen wir das Zelt doch dort auf. Unser erster Sonnenuntergang in Afrika ist atemberaubend schön. Zufrieden machen wir es uns im Zelt gemütlich. Als wir gerade mitten beim Abendessen sind, kommt ein Moped und hält. Es ist ein Ranger des Nationalparks. Ziemlich unfreundlich behauptet er, wir könnten hier nicht schlafen, es sei wegen der „wilden Tiere“ (er redet von Wildschweinen!) zu gefährlich. Verstehen können wir das natürlich nicht und ganz davon abgesehen werden wir weder das Zelt im Dunkeln abbauen, noch in der Dunkelheit irgendwo anders hinfahren. Nach einiger Überzeugungsarbeit willigt er schließlich ein, dass wir eine Nacht hier schlafen können und morgen früh bitte schnell wieder verschwinden. Mürrisch fährt er davon, während wir uns langsam bettfertig machen. Wir sind schon fast eingeschlafen, als ich plötzlich Motorengeräusche und Männerstimmen höre. Die Geräusche werden immer lauter und plötzlich geht von allen Seiten das Licht an, es ist taghell in unserem Zelt. Mit großen Augen gucken wir uns an, Josh muss sich erst schnell wieder anziehen, dann geht er raus. In Unterhose da stehend, ist er umringt von vier vergitterten Hummer vom Militär und bestimmt 20 bewaffneten Männern. Mir rutscht das Herz in die Hose und ich beginne mich schon zu fragen, ob wir irgendetwas völlig falsch gemacht haben!? Es stellt sich aber heraus, dass es sich um die Garde Nationale handelt, sie nur mal unsere Pässe kontrollieren und sehen wollen, ob es uns auch wirklich gut geht. Sie erklären uns, dass ihre Aufgaben vorsehen, die Corona Sperrstunde nach 20 Uhr zu kontrollieren, aber auch, sich um das Wohl der Touristen zu kümmern. Letzteres habe natürlich Priorität und sie möchten, dass es uns gut geht und wir uns frei bewegen können. Wenn wir irgendwie Hilfe benötigen, sollen wir sie auf jeden Fall anrufen. 193 sei die Nummer für alle Fälle. Nachdem alle Formalitäten geklärt sind, heißen sie uns mehrfach Willkommen in Tunesien und wünschen uns eine gute Nacht. Auch sie erwähnen noch kurz, wir sollten uns doch vor den Wildschweinen in Acht nehmen, dann steigen sie wieder in ihre Hummer und fahren davon. Noch eine halbe Stunde später sitzen wir Kopf schüttelnd im Zelt. Während Josh lacht und meint „Ja ja, so ist Afrika!“, muss ich das Ganze erst einmal verdauen. So etwas hab ich noch nie erlebt! Einerseits bin ich geschockt über diesen kleinen „Überfall“, anderseits begeistert über die Freundlichkeit und Ehrlichkeit, die uns die Männer entgegen gebracht haben. Willkommen in Afrika!


Nach der etwas unruhigen Nacht dauert es am nächsten Morgen nicht lange, da steht der unfreundliche Ranger mit seinem Moped schon wieder vor uns und drängt uns zur Abfahrt. Unter seinem genervten Blick bauen wir das Zelt ab, verpacken alles und wollen starten. Doch als Josh den Startknopf drückt, tut sich bei seiner Maschine gar nichts. Über Nacht haben wir unsere Akkuladestation an seinem Motorrad geladen und diese hat die Batterie des Bikes scheinbar völlig leer gesaugt. Das an sich wäre nicht so sehr dramatisch, wir holen unser Abschleppseil heraus, befestigen es und ich ziehe Josh ein Stück mit meiner Maschine, um ihm Starthilfe zu geben. Josh Bike springt auch an, geht aber immer sofort wieder aus. Scheinbar ist die Batterie tiefentladen. Wir probieren es noch zwei Mal, wohlgemerkt alles unter den Augen des Parkrangers, der keinerlei Anstalten macht uns zu helfen, aber erfolglos. Mir bleibt nichts anderes übrig, als Josh bis zur nächsten Werkstatt zu ziehen. Das dauert scheinbar auch unserem nervigen Zuschauer zu lange, der jetzt endlich das Weite sucht. Eine ganz schön wackelige Angelegenheit ist das Abschleppen auf dem sandigen Untergrund, nach einem Kilometer sind wir aber Gott sei Dank wieder auf einem befestigtem Weg. Hier müssen wir erst einmal eine Verschnaufpause machen. Wir verlängern das Seil, um zügiger fahren zu können und in die zehn Kilometer entfernte Stadt kommen, als hinter uns plötzlich das kurze Aufheulen einer Sirene ertönt. Schon wieder ist es ein Auto der Garde Nationale! Während ich erneut Schweißperlen auf die Stirn bekomme und mich frage, was sie jetzt schon wieder von uns wollen, springen zwei Beamte aus dem Wagen. Sie erkennen unser Problem und fangen an zu fachsimpeln und zu telefonieren. Ehe ich mich versehe, haben sie zusammen mit Josh das Bike auf ihren Pickup geladen, Josh ins Auto gepackt und sagen mir, ich solle ihnen hinterher fahren. So sind wir in kürzester Zeit in der Stadt. Die Beamten kennen sich aus und setzen uns bei einer kleinen Schraubergarage ab. Nicht ohne noch vorher dreimal zu betonen, dass es ihnen eine Freude war uns zu helfen, fahren sie wieder davon. Josh hatte im Auto ein bisschen Zeit sich mit Sofien zu unterhalten. Er arbeitet zu diesem Zeitpunkt (11 Uhr vormittags) schon seit 14 Stunden. Der Job den sie machen ist kein leichter. Der Respekt der Menschen hier lässt oft zu wünschen übrig. Manche sprechen unter keinen Umständen mit ihnen, nicht einmal wenn sie nach dem Weg in die nächste Motorrad Werkstatt fragen. Sie werden immer weit weg ihrer Heimat eingesetzt, um Gewissenskonflikte zu vermeiden, aber auch ihre Familien zu schützen. Das bedingt einen sehr langen Weg zur Arbeit bei unklaren Arbeitszeiten. Der Chef entscheidet wann die Schicht beendet ist. Ein Einsatz kann auch mal unangekündigt zwei oder drei Tage dauern. Der Lohn ist für örtliche Verhältnisse gut, aber es lässt sich damit nicht so entspannt leben wie bei uns, besonders wenn man, wie hier üblich, mehrere Kinder versorgen muss. Eine gute Portion Idealismus muss man schon haben. Nach durchgeschaffter Nacht die Energie aufzubringen einem dahergelaufenen, fremden Mopedfahrer, der kaum die eigene Sprache spricht, mitsamt Maschine im Dienstwagen zur nächsten Werkstatt zu fahren. Dabei noch viel zu lachen, zu quatschen und jeden Dank und jedes Trinkgeld abzulehnen. Das ist beeindruckend. Wir fühlen uns wahrlich willkommen. Angekommen in der Werkstatt fangen der Besitzer der Werkstatt, und sein kleiner Helfer Aziz sofort an, die Batterie vom Bike auszubauen und zu laden. Sie bekommt eine Pufferladung und nach einer halben Stunde ist das Bike wieder einsatzbereit. Ich hätte nie dran geglaubt, dass wir aus dieser Situation so schnell wieder raus kommen! Aber das ist Afrika: wo ein Problem ist, muss eine Lösung her, und alle versuchen zu helfen. Mohamed will keinerlei Geld dafür haben, auch ihm war es eine Ehre! Um diesen ganzen Tag noch abzurunden, haben wir abends über Facebook eine Nachricht von Sofien, unserem Helfer der Garde Nationale. Er erkundigt sich, ob alles geklappt hätte, ob das Moped wieder funktioniere, er wünscht uns das Beste und Friede sei mit uns. Das nenne ich mal Gastfreundschaft!
023 Josh der Busfahrer aus der SalzpfanneUnser Weg führt uns von nun an Richtung Süden, vorbei an den wunderschönen und sehr gut erhaltenen Ruinen von Dougga. Viel besser als in Europa kann man hier die Bauwerke der römischen Kultur bewundern, da sie durch das trockene Klima besser erhalten sind. Auch hier sind wir wieder die einzigen Besucher. Wir können quasi im Amphitheater unsere eigene Aufführung machen.
Die Straße führt nun relativ dicht an der algerischen Grenze entlang und ist daher geprägt von Polizei- und Militär-Checkpoints. Alle Polizisten schauen uns ungläubig an, dass da jetzt wirklich gerade zwei Deutsche auf ihren Motorrädern vor ihnen stehen, können sie nicht richtig glauben. Nach der üblichen Woher-Wohin-Frage werden wir dann aber immer durch gewinkt. Das zieht sich bis Tamerza, wo wir einige kleine Wasserfälle und weitere Ruinen besuchen. Bei einem dieser Wasserfälle lernen wir Farouk kennen. Er spricht fast perfekt deutsch, wir unterhalten uns über dieses und jenes, bis er schließlich meint, er wüsste einen guten Platz, an dem wir unser Zelt aufbauen könnten. Wir sollten ihm doch mal hinterher fahren. Er holt hinter einer Hütte seinen 80er Roller hervor und schießt los – geradewegs in einen Bachlauf. Ich bekomme direkt wieder Schweißperlen auf die Stirn: Wasser, Sand und Steine warten hier auf uns und Farouk ist mit seinem leichten Roller gleich um die nächste Biegung verschwunden, während es mit den bepackten Hondas nicht ganz so leicht geht. Wir lassen Luft aus den Reifen, das macht das Ganze einfacher, und nach nassen und sandigen fünf Minuten im Bachlauf sind wir schließlich am Ziel. Am Ende des Bachbetts rauscht ein kleiner Wasserfall und beendet damit den halbwegs fahrbaren Treck. Zur Rechten steht auf einer kleinen Erhöhung ein Restaurant mit Übernachtungsmöglichkeiten und dazugehörigem Palmengarten, in dem wir das Zelt aufbauen können. Ausgelegt ist es für zahlreiche Gäste, aber zur Zeit komplett leer. Trotzdem sind alle Angestellten vor Ort und wir können sogar Duschen und Toiletten nutzen. Es ist ein sehr idyllisches Plätzchen neben dem Wasserfall. Wir entscheiden zwei Tage hier zu bleiben. Farouk ist fast außer sich vor Freude, wir wären die ersten Motorradfahrer seit März, meint er. Er sei außerdem ein Guide für Motorrad Touren und wir sollten doch eine Tour mit ihm machen. Josh und ich sind davon weniger überzeugt, Tourenführer fürs Motorradfahren brauchen wir beide nun eigentlich wirklich nicht. Farouk kommt aber extra abends nochmal zum Essen vorbei, zeigt uns Bilder und schwärmt von der Landschaft, die er uns zeigen will. Immer weiter geht er mit dem Preis für diese Tour herunter und irgendwann sagt er traurig, dass er seit März nichts mehr verdient hat, weil keine Touristen mehr kommen. Wir entscheiden schließlich nach einiger Überlegung, die Tour am nächsten Tag mit ihm zu machen, von irgendwas muss er ja nun auch leben. Er hat uns nicht zu viel versprochen. Mit seinem kleinen China-Roller braust er vorne weg und zeigt uns von den seltenen Wüstengewittern in den Sand und Fels gerissenen Schluchten, aus Muscheln und Kalk gepressten und von uhrzeitlichen Meeren ausgespülten Höhlen, die teilweise schon für bekannte Filme als Kulisse dienten (Der Englische Patient). Die Pässe und Pisten in der Umgebung von Tamerza und Redeyef sind in ihrer Ausgesetztheit und ihrer Geschichtsträchtigkeit wirklich etwas besonderes. Der abenteurlichste ist der im zweiten Weltkrieg innerhalb kürzester Zeit freigesprengte Paso Rommel, benannt nach gleichnamigen Militärstrategen Rommel, der auf diesem Wege nach Libyen gelangte. Man hält es kaum für möglich, dass diese steilen Klippen und felsigen Abhänge mit Panzern befahren worden sind und die meisten dabei heil unten ankamen. Am Ende dieses Tages sind wir alle zufrieden. Farouk konnte endlich mal wieder eine Tour fahren und mit dem Geld davon seine Familie ernähren, das Trinkgeld haben wir gerne höher als üblich gegeben. Wir konnten die Gegend mit den Augen eines Einheimischen sehen und freuen uns ihn unterstützen zu können.


Unser nächstes Ziel ist die kleine Wüstenstadt Douz. Von Tamerza über Touzeur führt die Route kerzengeradeaus über eine teilweise ausgetrocknete Salzpfanne in die Wüste hinein. Den Gedanken nachhängend fahren wir entlang der leeren, schnurgeraden Straße, als plötzlich ein entgegenkommendes Auto eine Vollbremsung macht, wendet, uns überholt und schließlich ausbremst. Drei Männer steigen aus dem Wagen, einer telefoniert aufgeregt, der andere gestikuliert wild und der dritte läuft direkt auf mich zu und fängt an mir aus unerklärlichen Gründen am Helm rumzufummeln. Ich denke nur noch 'Okay, das war's jetzt, jetzt laden sie uns auf und fahren sonst wo mit uns hin.‘ Es kostet uns einige Zeit, mit unseren Fragen etwas Ruhe in das aufgeregte Dreiergespann zu bringen, schließlich wollen wir wissen was das Ganze soll. Nach fünf Minuten erst zeigt mir einer der Herren seine Dienstmarke. Sie seien doch von der Garde Nationale, ob wir das nicht wüssten, sie wollten doch nur für unsere Sicherheit sorgen und außerdem hätte ich da eine Fliege am Helm gehabt! Scherzkekse, in Zivil sind sie wohl kaum zu erkennen! Das übliche woher-wohin wird geklärt und eine Eskorte bis in die nächste Stadt gibt's obendrauf auch noch. Ist wohl gefährlich hier!? Nett sind auch diese drei wieder gewesen. Sie wollten nur auf uns aufpassen und unser Bestes. Wenn sie uns weiterhin so überfallen, haben sie am Ende aber doch eine tote Touristin zu beklagen, die durch übles Erschrecken am Herzinfarkt gestorben ist!
In Douz angekommen hoffen wir darauf, endlich einmal andere Overlander, also mit dem Fahrzeug Überland-Reisende, zu treffen. Freunde von uns meinten, wenn wir welche treffen, dann hier. Aber weder in einem der bekannten Overlander Cafés, noch auf dem uns empfohlenen Campingplatz finden wir welche. Schade, aber egal, denn es ist wunderschön hier im Desert Camp Douz und Achmed, der Chef, ist super freundlich. Mit ausschweifender Handbewegung und einem schelmischen Grinsen zeigt er auf das leere, riesige Areal, meint wir hätten freie Platzwahl und könnten solange bleiben, wie wir wollten. Das nehmen wir dankend an! Ein paar Tage bleiben wir, Josh gibt mir in den zehn Kilometer entfernten Dünen eine erste Einführung in das Sand- und Dünen Fahren. Ich fluche erst ein bisschen vor mich hin, aber nach den ersten zaghaften Versuchen klappt es tatsächlich auch ganz gut und sogar ohne Sturz, wohingegen Josh sich gleich erstmal schön tief in den Sand einbuddelt. Aber zusammen haben wir sein Bike schnell wieder ausgegraben.
027 Moped eingegrabenDanach entscheiden wir uns, unseren fahrbaren Untersatz für zwei Tage einmal zu tauschen und bevorzugen statt vier Rädern zur Abwechslung mal acht Füße. Auf zwei Kamelen und mit Achmed, einem erfahrenen Kamelführer, reiten wir für zwei Tage durch die Ausläufer der hiesigen Sahara. Viel besser kann man so die komplette Faszination der Wüste in sich aufnehmen. Nur wir zwei, Achmed, die Kamele und die Wüste. Die Stille und die Weite sind atemberaubend, hinter jeder Düne ist das Landschaftsbild wieder verändert und wir entdecken Tiere, wie zum Beispiel den Wüstenfuchs, die wir auf den Mopeds niemals gesehen hätten. Achmed mit seiner ruhigen Art trägt zusätzlich zur vollsten Zufriedenheit bei, indem er uns zu den schönsten Ecken führt und uns oben drauf noch dreimal am Tag mit einfachem Feuer und Pöttchen göttlich bekocht. Er backt uns Sandbrot auf Beduinen Art, indem er den Teig zwischen der Glut des Feuers und dem Sand eingräbt und zehn Minuten backt. Fertig ist das knusprige Brot! Nach einer Übernachtung mitten in der Wüste geht es am Folgetag wieder zurück nach Douz. Für seine tolle Begleitung und für das entzündete Auge eines seiner Kamele geben wir auch hier ein gutes Trinkgeld, denn auch er hat seit über einem halben Jahr mit seinen Kameltouren nichts mehr verdienen können. (plötzlich hatten wir die Spenden-Idee, wird in diesem Link erklärt) Er freut sich sehr darüber! Für uns waren diese zwei Tage eine unbezahlbare Erfahrung!
031 KamelkussIn Douz steigen wir dann aber doch wieder auf unsere Motorräder um, wir wollen zum Tembaine Tafelberg im J'Bil Nationalpark fahren. Unsere roten Packsäcke mit ein bisschen Gepäck lassen wir bei Achmed am Campingplatz, da wir nach unserer Wüstentour wieder hierher kommen werden. Je leichter die Maschinen im Sand sind, desto besser. Das zeigt sich auch gleich nach den ersten zehn Kilometern Sandpiste, wo ich bei Tiefsand und Spurrillen echt froh bin, doch etwas Gepäck aussortiert zu haben. Mit geringem Luftdruck klappt es eigentlich recht gut, dennoch habe ich hier schon die ersten zwei Stürze. Es passiert Gott sei Dank nichts, im Sand fällt man weich, und so kann es nach einer ruhigen Zeltnacht mitten in der Wüste lediglich mit etwas Muskelverspannung weiter gehen. Wir dachten eigentlich, dass Pisten in einem Nationalpark gepflegt und ein bisschen frei geschoben sind, aber dem ist nicht so. Wir graben uns 50 Kilometer durch tiefe Spurrillen, über Wellblech und am Schluss über bis zu zehn Meter hohe Dünen! Neben sechs Stürzen habe ich an diesem Tag eine kaputte Scheibe, eine zerquetschte Aluflasche und einen krummen Lenker zu beklagen. Zum Glück habe ich meinen persönlichen Mechaniker dabei, Josh kann noch zwischen den Dünen alles wieder einigermaßen richten.

Als die Dünen sich endlich lichten, tauchen am Horizont viele weiße Beduinen Zelte auf. Wir sind am Camp Mars angekommen. Da man zu Corona Zeiten nie weiß, ob man an solch abgelegen Orten auch Menschen antrifft, fahren wir etwas zweifelnd die Hügel zum Camp hinunter. Gut wäre es, wenn jemand da wäre, denn unsere Wasservorräte reichen noch einen weiteren Tag, doch wir wissen nicht wie die Piste weiter verläuft und ob es an einem weiteren Tag machbar ist. Uns kommen dann aber nach kurzer Zeit zwei Männer entgegen gelaufen, sie haben uns vom Camp aus schon gesehen. Auf mein „Hallo“ bekomme ich nur einen lauten Lacher als Antwort mit der Frage: „Das ist eine Frau?“ Scheinbar kommt es nicht so oft vor, dass hier Frauen auf dem Motorrad ankommen. Das schmeichelt mir doch sehr! Im Camp sind dann sogar noch mehr Leute, denn für den Abend haben sich tatsächlich ein paar tunesische Touristen angekündigt. Das ist unser Glück, wir können unsere Vorräte auffüllen, bekommen einen super Kaffee serviert und abends vom Chef persönlich ein Drei-Gänge-Menü gekocht. Am nächsten Morgen sogar noch ein leckeres Frühstücksbuffet. Unser Zelt dürfen wir einfach neben den Beduinen Zelten aufbauen und zahlen müssen wir für die Nacht auch nichts. Bei unserer Abreise am nächsten Morgen wünschen uns alle viel Glück und wenig Stürze und Chekan, der Chef, gibt uns noch seine Telefonnummer, falls wir irgendwie doch noch Hilfe brauchen. Bei dieser Gastfreundschaft hat sich der beschwerliche Weg hierher absolut gelohnt!


Wir verlassen den Nationalpark in Richtung Osten, unser nächstes Ziel ist die Oase Ksar Ghilane mit ihren heißen Quellen. Das heißt aber auch, zuerst die ganze Dünen Passage wieder zurück zu fahren plus weitere 80 Kilometer Piste mit hoher Dünenwahrscheinlichkeit zwischendrin. Natürlich bleiben ein paar weitere Stürze nicht aus, auch Josh stürzt zweimal und in einem Dünen Abschnitt muss er dann sogar beide Mopeds fahren. So gut es bis hierin geklappt hat, das kann ich an der Stelle leider nicht mehr. Aber da es für Josh wie ein Spiel in einem riesengroßen Sandkasten ist, hat er mit viel Freude und Energie beide Maschinen innerhalb einer Stunde über die kurvige und steile Dünenpassage bugsiert. Während ich froh bin, dass die Piste danach wieder einfacher wird, steht er hüpfend und grinsend vor mir und fragt: „Wollen wir das nochmal zurück fahren?“ Typisch Josh halt! Ziemlich erschöpft und eingesandet kommen wir schließlich von Westen in Ksar Ghilane an. Erstaunt werden wir bei unserer Ankunft gemustert. „Kommt ihr aus der Wüste?“, fragen sie ganz ungläubig, denn wir kommen tatsächlich zur anderen Seite in den Ort hinein, als eigentlich üblich. „Ja…?!“, sagen wir. „Alleine?“ Josh versteht tatsächlich die Frage nicht und meint: „Nee, zu zweit!“ – „Ja, ja, aber, ohne Führer“ wird die Frage dann lachend präzisiert, „aus der Wüste?“ Wir schauen uns nur fragend an: „Äahh, ja klar!“, scheinbar passiert es nicht so oft, dass zwei Biker mit Gepäck beladen aus dieser Richtung kommen! Viel Mut und Courage hätten wir, meint der Herr vom Campingplatz, auf dem wir uns niederlassen. Von nun an sind wir seine besonderen Gäste und er kümmert sich die nächsten Tage rührend um uns. Wir lassen es uns in den heißen Quellen gut gehen und schon am nächsten Morgen kennt uns das ganze Dorf, alle grüßen uns bei unseren Spaziergängen freundlich, das einzige Restaurant im Ort wird unsere Hauptanlaufstelle und dessen Wirt, Achraf, unser Freund. Wir gönnen uns mehr als üblich und gehen lieber essen und campen auf den Plätzen hier, um die Menschen zu unterstützen. Obwohl hier niemand kommt, sind sie alle auf Station, die Plätze und Restaurant sind aufgeräumt, sauber, ordentlich und bereiten zu jeder Tages- und Nachtzeit Essen. Es bleibt den Menschen hier nichts anderes übrig, alternative Verdienstmöglichkeiten haben sie nicht und ihre Existenzen hängen daran. Glücklich und gestärkt fahren wir nach dieser kleinen Erholungspause aus Ksar Ghilane wieder los, bepackt mit jede Menge Käse, Sandbrot und Wasser. Achraf hat extra für uns gebacken und Käse besorgt.
051 Baden in heisser Quelle in Ksar GhilaneDie Etappe führt uns nun weiter nach Osten. Wir fahren über die Berberdörfer Matmata und Chenini und bewundern deren interessante Bauart. Die Häuser sind direkt in die Felsen gehauen und die Bewohner leben quasi direkt im Berg. Im Winter wärmt und im Sommer kühlt der Fels. Baumaterial braucht man keines (und hier gibt es auch nichts), da der Fels nur ausgehöhlt wird. Wir haben die Möglichkeit eines dieser Berberhäuser von innen zu besichtigen und werden von den beiden Hausherrinnen Fatima und Kasima zu Sandbrot und Tee eingeladen! In einem Rundbau mit Innenhof ist jedes Zimmer für sich liebevoll und gemütlich eingerichtet, wie bei uns zu Hause gibt es Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer, sogar mit kleiner Nasszelle. Im Eingang des Hauses befindet sich eine kleine Webstube, in der die beiden Frauen Tag für Tag Teppiche herstellen. Wir bekommen einen guten Eindruck vom Leben der Berber und sind sehr dankbar, einen Einblick bekommen zu haben. Bis auf die Solarzelle an der Außenwand und die Speicherbatterien in der Küche und den kleinen Gasherd scheint sich hier in den letzten Jahrhunderten nicht viel verändert zu haben. Abends bei der Schafplatzsuche finden wir ein verlassenes, aber noch intaktes Berberhaus. Durch den gerade mal schulterhohen Eingang fährt Josh mit viel Fingerspitzengefühl unsere Mopeds in den Innenhof des Hauses und in einem der verlassenen Räume stellen wir unser Zelt hinein: Wir haben unser eigenes Berberhaus für eine Nacht! Ein perfekter windgeschützter und warmer Platz an diesem sehr windigen und kühlen Abend!
Einen kleinen Abstecher machen wir noch auf die Insel Djerba mit ihren langen Stränden und unzähligen Flamingos an der Küste. So komme ich doch noch dazu, meine geliebten Flamingos zu sehen, was ja aufgrund diverser Umstände im Ichkeul Nationalpark nicht möglich war. Die Insel scheint zu normalen Zeiten sehr überlaufen zu sein, was an Hand der vielen riesigen Hotelkomplexe zu erkennen ist, aber wieder einmal haben wir das Glück, die Natur hier ohne viele Menschen genießen zu können. Wir erleben am Meer die Gegensätze des Küstenklimas. Salzige Meeresluft, Gewitter und sogar einen Tag Regen. Wir nutzen ihn, um all unser Material von den tausend feinen Sandkörnern zu reinigen, die auf Dauer alle beweglichen Mechaniken zerstören würden. Sauber und mit vielen neuen Eindrücken fahren wir anschließend wieder zurück nach Douz, wo unsere Tour in die Wüste gestartet hat. Wir wohnen wieder bei Achmed im Desert Camp und warten auf Post aus der Heimat. Joshuas Medikamentenlieferung steht an und da uns mit Corona und den Quarantäne Beschränkungen im Moment niemand besuchen kann und die benötigten Medikament mitbringen kann, müssen wir es auf dem Postweg versuchen. Wir warten also und hoffen, dass das von Joshuas Bruder Nino liebevoll gepackte Päckchen auch wirklich ankommt. Nur mit aufgefüllten Medikamenten treten wir die Reise in ein neues Land an. Neues Land – das heißt für uns Ägypten. Aber da alle Grenzen zu den benachbarten Ländern Tunesiens geschlossen sind, steht noch in den Sternen, wie und ob wir Ägypten erreichen werden. Die Tunesier würden jetzt sagen „Inshalla“ – „So Gott will“.