Bericht 23 Türkei Nord
Kilometer 93.000 - 95.900
Reisewoche 94 - 96
Fahrstunden 1231 - 1283
25.06.2022 - 18.07.2022
2900 Kilometer gefahren in 27 Fahrstunden auf 16 Tage
Die erneute Einreise in die Türkei klappt problemlos. Ein paar Minuten am Schalter und wir sind wieder drin. In der Türkei hat man als Deutscher 90 Tage Visafreie Aufenthaltszeit innerhalb von sechs Monaten. Da wir vor kurzem schon zwei Monate im Land waren, haben wir diesmal nur noch etwa einen Monat Zeit, bis wir wieder raus müssen. Das sollte uns aber reichen, um entlang des Schwarzen Meeres nach Westen zu fahren und dann nach Bulgarien zu reisen. Eigentlich haben wir auf besseres Wetter in der Türkei gehofft, aber die Berge im Nordosten des Landes sind genauso nass und regnerisch wie das hinter uns liegende Georgien. In Artvin nehmen wir uns daher erstmal ein Zimmer, um uns und all unser Material wieder zu trocknen. Außerdem wollen wir uns hier mit einem anderen Motorradreisenden treffen. Valentin Müller (Valle on Tour) reist auch gerade mit seinem Motorrad durch die Türkei.
Er kommt aus dem Süden und hier in Artvin kreuzen sich unsere Wege. Gleich am ersten Abend verstehen wir uns sehr gut und planen gemeinsam eine Route für die nächsten Tage. Durch die Berge soll es für uns drei Richtung Trabzon gehen. Unsere Reisestile sind durchaus unterschiedlich und ob wir wirklich mehrere Tage zusammen reisen können, wird sich erst herausstellen. Aber probieren wollen wir es. Valle hat ein paar schöne Schotterpisten heraus gesucht, die uns am ersten Tag von Artvin nach Pokut führen. Dieser kleine Ort liegt in einem sehr alpinen Gebiet, welches man hier als die Schweiz der Türkei bezeichnet. Die kleinen Holzhütten vor der malerischen Bergkulisse erinnern auf jeden Fall an die Schweizer Alpen. Bei Ankunft sehen wir jedoch leider kaum die Hand vor Augen, so neblig ist es. In einer besonders urigen Holzhütte, die wohl vor nicht allzu langer Zeit noch eine der lokalen Schafherden beherbergt hat, kommen wir an diesem Abend unter. Die Familie, die im Sommer mit den Gästen
in der Hütte lebt, vermietet einfach die freien Zimmer in ihrem Häuschen. So sitzen wir vorm Schlafen gehen mit dem Vater, seiner Frau und seinem Sohn vor dem gemütlichen Ofen im Wohnzimmer und unterhalten uns mit Händen und Füßen und ein paar Brocken Englisch. Am nächsten Morgen ist der Nebel verschwunden und wir genießen beim türkischen Kaffee den traumhaften Blick auf die “Schweizer” Berghütten. Berge, Tannen mit ein paar Schafherden und Kühen soweit das Auge reicht. Die Luft ist kühl und frisch, riecht nach feuchtem Nadelholz und Gras. Wir schlängeln uns weiter über kleine Schotterpisten durch die immer höher werdenden Berge. Die Pisten sind in gutem Zustand und einfach zu befahren, wir befinden uns eine Weile auf etwas über 3000 Metern und sind damit schon weit über den Wolken, die vom Schwarzen Meer aus an die Berge branden. Die Aussicht auf all die Spitzen und Hänge, die aus dem Wolkenmeer lugen, ist atemberaubend schön. So schön, dass wir Valle sogar überredet bekommen, diese Nacht mit uns hier oben zu zelten. Das entspricht eigentlich nicht einem Reisestil, aber bei diesem Traumplatz kann er auf die Schnelle gar kein Gegenargument mehr bringen und schon steht das Zelt. Wir haben uns ja auch auf ein etwas nobleres Hotel in Artvin eingelassen, um uns etwas anzupassen und nun ist Valle dran mit unserem Kontrastprogramm. Der Sonnenaufgang am nächsten Morgen allein ist schon unbezahlbar, dass muss Valle ehrlich zugeben. Richtig angenehm war die Nacht für ihn leider nicht, aber es war eine Erfahrung wert. Es dauert eben auch eine Weile, bis man sich an das Zelten gewöhnt hat und auch die kalten Nächte auf 3000 Meter genießen kann.
In Trabzon trennen wir uns dann für ein paar Tage, denn wir sind beim dortigen Motorrad Club Rota 61 eingeladen und Valle hat noch einiges an liegengebliebener Administration seiner aktuellen Tour zu erledigen. Von unserer gemeinsamen Freundin Kinga haben wir einen Kontakt in Trabzon bekommen. Kinga meinte nur: ”Wenn ihr irgendetwas braucht, Ahmet wird euch helfen”. So ist es auch. Er ist Mitglied des besagten Motorradclubs und als wir bei ihm eintreffen, hat Ahmet bereits neues Öl, Ölfilter und ein Luftfilter Reinigungsset für uns besorgt. Ein kleines Zimmer und eine Portion türkischen Kaffee wartet im Clubhaus auch schon auf uns. Ein Platz für den Service an den Bikes ist ebenfalls dringend notwendig, den Ölwechsel haben wir schon 4000 Kilometer überzogen! Auf dem Hof vor dem Club ist auch das kein Problem. Es gefällt uns hier im Herzen Trabzons. Hier können wir bleiben so lange wir wollen und es gibt auch ein bisschen was zu tun an unserem Material und an den Reiseberichten, die schon viel zu lange nachhängen. Bevor wir wieder aufbrechen, sind wir noch bei Ahmet und seiner Familie zu Hause eingeladen. Wir lernen seine Frau und seine drei kleinen Jungs kennen. Sie sind zwar gerade erst umgezogen, aber auf der Terrasse ist genug Platz für eine gemütliche Tee-Runde. Es ist ein schöner Nachmittag bei dieser herzlichen Familie, die unseren Aufenthalt so besonders gemacht hat! Danke für alles.
Die Bikes fahren sich nach dem Ölwechsel wie neu und auch wir sind gut erholt. Es kann nun weiter gehen. Am Stadtrand von Trabzon treffen wir uns wieder mit Valle. Wir sind alle selber überrascht, wie gut wir doch zusammen auskommen! Mit anderen Motorradfahrern wirklich über Tage hinweg zusammen zu touren, ist immer eine Herausforderung. Besonders bei so unterschiedlichen Maschinen und Auslegungen des Reisens. Unsere Fahrstile aber passen sehr gut zusammen. Wir mögen es eher zügig und etwas gröber abseits der Pisten.
Bevor wir uns in spätestens drei Tagen wegen Valles etwas strafferem Zeitplan endgültig trennen, wollen wir noch den Karanlik Canyon gemeinsam fahren. Von Kemaliye führt eine Schotterpiste 27 Kilometer den Berg hinauf, und oft auch durch den Berg hindurch, immer entlang einer kolossalen Schlucht. Man nennt sie übersetzt “Die schwarze Schlucht”. Das Besondere: Man fährt fast die ganze Zeit durch handgeschlagene, unbeleuchtete Tunnel, die einst von den Armeen der vielen Gefangenenkolonien in den Berg gehauen wurden! Stockdunkel und eng ist es in den groben Tunneln, aber hin und wieder gibt es große Löcher in der rechtsseitigen Felswand, die den Blick auf die senkrechten Felswände des Canyons freigeben. Hinauf wie hinunter scheinen die Wände kein Ende zu nehmen, wenn man aus diesen Luken schielt. Beim Hinunterschauen in die Schlucht wird einem schon mal schwindelig und es wird mit jedem Höhenmeter, den wir mit den Motorrädern klettern, schöner! Für die 27 Kilometer brauchen wir eine halbe Ewigkeit, da wir immer wieder anhalten und die Schönheit dieses Fleckchens Erde genießen. Hier ein Foto, da ein Seitengang, der erkundet werden will. Es dauert fast den ganzen Tag.
In Divrigi, dem nächsten größeren Ort nach dem Canyon, verbringen wir noch einen letzten gemeinsamen Abend mit Valle. Er muss am nächsten Tag nach Istanbul aufbrechen, um dort den Autozug für seine Heimreise nicht zu verpassen. Wir hatten wirklich eine schöne gemeinsame Zeit miteinander und entgegen der Vermutungen von unseren gemeinsamen Freunden, die uns erst aufeinander aufmerksam gemacht haben, haben wir uns sehr gut verstanden. Die Unterschiede zwischen uns sind natürlich groß, Valle fährt eine völlig andere Gattung Motorrad, er geht meistens in Hotels und bereitet alles was er erlebt, haargenau im professionellen Videoschnitt und in eigenen Reiseführern auf. Für ihn ist die Reise auch ein Vollzeit Job.
Abseits der Differenzen gehören wir aber trotzdem zur selben Familie, der Familie der Motorradfahrer und die halten zusammen. Es ist einfach irgendwo immer derselbe Geist, der einen auf zwei Rädern in die Welt treibt und das verbindet einfach. Wir konnten auch viel voneinander lernen: Valle schaut sich von uns viel über das Langzeit Reisen ab, wie man mit Weniger auskommt und was ein leichtes Motorrad doch für Freiheiten bietet. Wir lernen eine Menge über Videos, Fotos und der qualitativen und auch kommerziellen Aufarbeitung des Erlebten. Es ist interessant einen Einblick zu bekommen. Sein Hobby wirklich zum Beruf zu machen ist ein langer und risikoreicher Weg und dieser erfordert, ähnlich einer langen Reise durch ferne Länder, ebenfalls viel Mut. Wir sind auf jeden Fall froh, dass wir uns auf der Straße getroffen haben und nicht irgendwo auf irgendeiner kommerziellen Motorradveranstaltung. So konnten wir uns wirklich kennen lernen. Ich musste zwar manchmal meine Nerven bewahren mit den beiden Jungs, die sich gegenseitig mit lustigen Sprüchen übertroffen haben und die am liebsten durch jeden Fluss gefahren wären, der auch nur am Horizont glitzert, aber dennoch will ich die gemeinsame Zeit nicht missen. Bis zum nächsten Mal irgendwo in der Welt!
Wieder allein unterwegs. Wir probieren es nach all den Bergen erst an der Küste, flüchten dann aber schnell zurück ins Landesinnere. Die Küste ist vollgestopft mit Menschen, es sind Sommerferien in der Türkei und alle sind am Meer! Wir verstecken uns also ein paar Tage in Kastamonu, einem kleinen Bergdorf nördlich von Ankara. In einem Gästehaus im Fachwerkstil fühlen wir uns sehr wohl und genießen die Ruhe und die gute Luft. Zumindest das Wochenende ist jetzt vorbei und noch einmal fahren wir zurück an die Küste, um zwei Hamburger Motorradfahrer zu treffen.
Mia und Max. Die beiden haben sich ehrgeizig ein halbes Jahr Zeit genommen, um bis in den Iran und zurück zu fahren. Sie sind noch Neulinge im Langzeit-Motorradreisen und freuen sich sehr über den Austausch mit uns. Hinter dem Dickicht über den Klippen, genau zwischen zwei weit entfernten Ortschaften bauen wir unsere Zelte auf. Fern von all den Leuten und vollgestopften Campingplätzen. Aus einer geplanten Nacht werden schnell zwei. Die Gespräche sind gut, das Wasser ist klasse zum Baden und Josh und Max haben viel Spaß daran, an den Klippen herum zu klettern und von dort ins Wasser zu springen. Wir genießen unsere letzten Tage in der Türkei mit den beiden Reisenden in vollen Zügen. Mit jede Menge Infos im Gepäck fahren Mia und Max nach Osten, mit etwas Fernweh und ein bisschen neidisch fahren wir nach Westen. Die beiden haben das alles noch vor sich...
Bevor wir nun die Grenze nach Bulgarien und damit nach Europa überqueren, machen wir noch einen Halt in Karaburun. Dort wo im März unser Asienausflug angefangen hatte, lassen wir es nun auch ausklingen. Wir wohnen noch einmal in der Wohnung von Mustafa, der sich sehr freut uns wieder begrüßen zu dürfen. Dieses Mal lernen wir auch seine Frau kennen. Wir sitzen gemeinsam beim Tee in der untergehenden Sonne auf der Dachterrasse. Wir scherzen unablässig darüber, wie wir das letzte Mal hier saßen, in dicken Pullis, vor dem Ofen, im Schnee, die Hände auf der Suche nach Wärme um die Teetasse geschlungen. Mustafa wünscht uns eine gute Heimreise und heißt uns jederzeit wieder in seinem Haus willkommen. Er hat uns einen guten Start in der Türkei und einen schönen Abschied bereitet.
Ein großer Abschnitt unserer Reise neigt sich nun dem Ende. Wir haben zwar nicht so viel von Asien gesehen wie es ursprünglich geplant war, aber wir sind dankbar für das, was wir hier bereisen durften. Dankbar für all die Erfahrungen, die wir mitgenommen haben. Jetzt beginnt der letzte Teil unserer Reise: Die Heimreise durch Osteuropa…