Joana Breitbart
Kilometer 21400 – 25300
Fahrstunden 390 – 456
Reisewochen 35 – 39
(01.05.2021 – 04.06.2021)
3900 Kilometer gefahren in 66 Stunden in 35 Reistagen.
Die Stimmung ist gedrückt, Regenwolken stehen am Himmel, es ist bereits spät am Nachmittag und wir haben noch 160 km vor uns. Die Grenze Kenia – Tansania hat viel mehr Zeit, Geld und Nerven in Anspruch genommen, als wir erwartet haben. Dementsprechend ist unsere Laune nicht die Beste. Wir schwingen uns dennoch auf die Bikes und nach ein paar Kilometern hellt sich meine Stimmung deutlich auf: Die Straße hat einen einwandfreien Asphalt Belag und führt durch die schöne, etwas hügelige Landschaft rund um den Kilimandscharo. Es ist die Beste seit Tunesien und man kann es in den Kurven tatsächlich wagen, ein bisschen mehr in Schräglage zu gehen als in den letzten Monaten, ohne Angst haben zu müssen, dass man weg rutscht. Als die Straße plötzlich einen 90 Grad Knick macht und sich somit gekonnt um das brausende Gewitter herum schlängelt, fasse ich wieder neue Hoffnung, dass wir die 160 km bis nach Moshi am Fuße des Kilimandscharo doch noch schaffen könnten.
Dort sind wir nämlich verabredet mit Conny und Matthes, die wir schon einmal auf unserer Tour getroffen haben. In Siena in Italien fuhren wir uns das erste Mal über den Weg, die beiden waren Ende des Jahres 2020 mit ihren beiden Yamaha Xts ebenfalls gen Süden unterwegs. In Sizilien trafen wir uns erneut, verbrachten zwei schöne Tage miteinander und haben uns ins Herz geschlossen. Während unser Weg uns anschließend nach Tunesien führte, fuhren Conny und Matthes mit der Fähre nach Griechenland, wo sie dann leider nach einer Woche im dortigen Lockdown fest hingen und sich nach einer weiteren Woche dazu entschieden, zurück in die Heimat nach Deutschland zu fliegen. Auch dort hingen sie dann aus uns allen bekannten Gründen fest. Beide befinden sich in einem Sabbatjahr, haben lange auf diese Auszeit gespart und waren über die pandemischen Entwicklungen mäßig bis gar nicht begeistert. Sie hingen in Deutschland, ihre Bikes und das gesamte Equipment in Griechenland. Nach langen Überlegungen entscheiden sie sich schließlich dazu, kurzerhand einen Flug und einen Mietwagen zu buchen und den Rest ihres Sabbatjahrs doch noch zu genießen: Vier Wochen Tansania sollen die letzten Wochen im kalten Deutschland wieder wett machen. Und hier führen uns unsere Wege wieder zusammen, wir kommen von Norden, die beiden von Süden. Zwei Wochen haben sie Tansania schon erkundet, jetzt warten sie auf uns in Moshi. Nach einer anstrengenden Fahrt im Dunklen durch den nicht ganz ungefährlichen, tansanischen Verkehr, kommen wir abends um halb neun endlich an. Conny springt auf und winkt freudig, als sie unsere Mopeds in die Einfahrt des Hostels rollen sieht. Auch wir freuen uns, es ist schön in einem fremden Land bekannte Gesichter zu treffen. Die nächsten Tage haben wir uns natürlich viel zu erzählen und genießen die gemeinsame Zeit.
Wir hängen uns nun an die Fersen von Conny und Matthes und brechen nach Lushoto auf. Die Regenzeit hat das Wetter nun richtig im Griff und es regnet schon bei unserer Abfahrt in Moshi. Gut, dass wir uns in Nairobi mit einer neuen Regenkombi eingedeckt haben. Wir schaffen es aber irgendwie, immer nur ein paar Regentropfen abzubekommen, während rechts und links von der Straße teilweise die Unwetter auf die Ebenen herab prasseln. Die Straße nach Lushoto in den Usambara Bergen schlängelt sich schmal und kurvig in die Höhe und ist durch den vielen Regen sehr rutschig. Bis in den Ort ist sie aber Gott sei Dank asphaltiert und wir kommen gut voran. Lushoto liegt mitten in den Bergen und ist ein kleiner Ort voller Charme, in den wir uns auf Anhieb und trotz des schlechten Wetters verlieben. Wir wollen zur Irente Farm, wo Conny und Matthes schon auf uns warten. Die Farm liegt etwas außerhalb und noch etwas höher als der Ort selbst, wir müssen einige Kilometer Piste fahren, die durch den Regen natürlich wieder sehr schlammig ist. Die Bikes schlagen sich aber gut durch jede Schlammpfütze und Bachdurchfahrt. Matthes wartet schon auf uns in der Einfahrt und Conny filmt unsere Ankunft über den schmalen, steinigen Weg. Ihre Aufregung, Freude und Emotionalität freuen und faszinieren mich immer wieder aufs Neue! Bei jedem erneuten Treffen mit den beiden fühlen wir uns jedes Mal sehr willkommen und ins Herz geschlossen. Eigentlich wollten wir hier campen, aber es ist wortwörtlich Land unter. Die Wiese steht nur so voll Wasser. Wir erregen Mitleid bei Ute, der Leiterin der Farm und sie bietet uns ein schönes warmes Zimmer inklusive Frühstück und Abendessen zu einem fairen Preis an. Und wie wir feststellen, ist das Essen einsame Spitze, die Köchinnen geben jeden Abend ihr Bestes und zum Frühstück gibt es sogar selbst gebackenes dunkles Brot und hausgemachten Käse von der Farm. Gerade Josh fühlt sich hier wie im Schlaraffenland! Das gemeinsame Essen findet im Farm Haus statt, das gleichzeitig als Aufenthaltsraum dient und mit offenem Kamin und gemütlichen Sitzgelegenheiten bei Kerzenschein abends zum Verweilen einlädt. Eine Nacht verbringen wir hier und wollen dann eigentlich weiter ans Meer, Lushoto sollte nur als Zwischenstation dienen und außerdem wollen wir dem Regen davon fahren. Es hat die ganze Nacht geregnet und bei der Abfahrt regnet es immer noch. Wir haben alle Sachen gepackt, sind mit den Mopeds schon von unserem Zimmer zum Farm Haus gefahren um uns zu verabschieden, als Joshs Bike plötzlich nicht mehr anspringt. Von jetzt auf gleich macht es keinen Mucks mehr. Josh fängt an alles systematisch nacheinander zu testen. Matthes und Conny, die auch schon in den Startlöchern standen, parken ihr Auto wieder unter den Bäumen. Sie wollen auf uns warten. Während Josh also nach und nach das halbe Moped auseinander nimmt, um den Fehler zu finden, setzen wir uns noch einmal ins Farm Haus. Von Zeit zu Zeit geht Matthes hinaus, um zu schauen ob er helfen kann, aber mehr als seelischen Beistand kann er auch nicht leisten. Josh testet alles, Batterie, Benzinpumpe, alle Kabelstränge, aber das ist alles funktionsfähig.
Die letzten Kilometer bis zum Meer sind schnell gefahren und wieder haben wir Glück und fahren unter dem Regen durch. Im Peponi Beach Camp verbringen wir noch ein paar schöne letzte Tage mit Conny und Matthes. Hier zelten wir endlich wieder, das erste Mal seitdem wir in Tansania sind. Wir sind die Einzigen im ganzen Camp, am nächsten Tag wird das Wetter besser und verwandelt sich in strahlenden Sonnenschein. Es ist angenehm warm, bei Ebbe kann man weite Spaziergänge über den Strand machen und den Pool des Camps und alle umliegenden Hängematten haben wir komplett für uns alleine. Abends philosophieren wir über Gott und die Welt, es fühlt sich an als würden wir uns schon ewig kennen. Doch heißt es nach ein paar Tagen Abschied nehmen, Conny und Matthes müssen zurück nach Daressalam, ihr Urlaub neigt sich langsam dem Ende und der Heimflug rückt in greifbare Nähe. Trotz dass wir diesmal mit unterschiedlichen fahrbaren Untersätzen unterwegs waren, konnten wir gut zusammen reisen. Die widrigen Umstände haben uns enger zusammen geschweißt, wir haben uns gegenseitig unterstützt und sind zu Freunden geworden. Unsere Wege werden sich mit Sicherheit noch öfter kreuzen.


Bevor wir uns in die Hektik und abgaserfüllte Luft von Daressalam stürzen, machen wir noch einen Zwischenstopp in dem kleinen Küstenort Bagamoyo. In der Travellers Lodge sind wir die einzigen Gäste und können unter Palmen direkt am Strand campen. Je weiter südlich wir kommen, desto traumhafter werden die Strände im Vergleich zu denen im Norden. Weißer weicher Sand, blaues Wasser und meistens keine Menschenseele. Wir haben das Meer für uns alleine und auch im Ort ist nicht viel los. Bagamoyos Ortskern hat mit alten deutschen Kolonialbauten und einigen liebevollen Bars und Restaurants seinen ganz eigenen Stil. Wir fühlen uns sehr wohl und genießen die Ruhe vor dem „Sturm“ der Großstadt.
Noch die Erinnerungen des Stadtverkehrs von Nairobi im Kopf, steige ich nicht ganz so entspannt aufs Bike, als wir nach Daressalam starten. Die Bedenken erweisen sich aber als unnötig, denn der Verkehr ist im Vergleich zu Kenia wirklich entspannt, selbst in der Stadt herrscht keine große Hektik und auf Mopedfahrer wird sogar Rücksicht genommen. Wir folgen zuerst der Einladung von einer indisch-tansanischen Familie: Moez, Familien Oberhaupt und Scheich, besitzt neben einigen kleinen Firmen auch ein Krankenhaus in Daressalam, welches er erst kürzlich eröffnet hat. Er, seine Frau und seine drei Kinder haben uns in Lushoto herzlich eingeladen und wir finden das Haus über die Koordinaten, die er uns geschickt hat. Wir denken, es handelt sich um das Wohnhaus der Familie, aber wir liegen falsch. Moez hat für uns mal eben schnell eines seiner Wochenendhäuser herrichten lassen. Auf uns warten bereits der Koch, zwei Gärtner, ein Wärter und der Hausverwalter! Das kleine Häuschen liegt auf einem großen Grundstück umsäumt von Palmen und Akazien an einem kleinen See etwas außerhalb der Stadt in direkter Strandnähe! Wir sind maximal verblüfft, damit haben wir nicht gerechnet! Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, wird Josh mehr oder weniger genötigt, mit dem Hausverwalter sämtliche Lebensmittel für die kommenden Tage einzukaufen – selbst bezahlen darf er aber nicht. Das nenne ich mal Gastfreundschaft! Moez ruft an diesem Tag noch mehrmals an, um sich zu entschuldigen, dass er selbst leider keine Zeit hatte uns zu begrüßen. Jedes mal betont er dabei, dass wir uns doch bitte bei ihm melden mögen, wenn es uns an irgendetwas fehlt! Wir sind begeistert von dieser Geste. Wir verbringen einen Großteil des Tages im bunten Trubel am nur 500 Meter entfernten Strand. Am Abend bevor wir abreisen, lädt uns Moez zum Essen ein, mit dem Vorschlag, dass er uns dazu abholt. Als sein Auto schließlich vorfährt, sitzt die komplette Familie darin: Sie haben es sich nicht nehmen lassen, sich alle über eine Stunde ins Auto zu setzen, um uns gemeinsam abzuholen! Wir verbringen einen schönen Abend zusammen mit guten Gesprächen und leckerem Steak. Bevor uns Moez aber wieder zurück fährt, schlägt er vor, uns sein Krankenhaus zu zeigen. Das schauen wir uns doch gerne an. Gerade für Josh mit seiner medizinischen Vorbildung ist das sehr interessant. Erneut verschlägt es uns die Sprache: Das Gebäude ist ausgestattet mit der neuesten Technik aus Europa und den USA, den besten MRT- und CT-Geräten, einem hervorragenden Labor, alles verknüpft mit einem Rohrpost System durch das komplette Krankenhaus, eigener Sauerstoffherstellung und -versorgung für alle Patientenzimmer, komplett papierlose Verwaltung, wegweisend in der geschickten Aufteilung und Arbeitsstruktur, alles kabellos vernetzt. Ohne diesen lästigen Datenschutz lässt es sich eben verdammt effektiv arbeiten. Wir sind sehr beeindruckt! Zuvor hatte uns Moez erklärt wofür der Titel „Scheich“ steht: Diesen erhält man hier entweder auf religiöser Ebene für besondere zeremonielle Stellungen oder für herausragendes ehrenamtliches Engagement und gemeinnütziges Investment. Er hat ihn aus letzterem Grund erhalten. Jetzt weiß ich auch warum! Viel Geld scheint in dieser Familie zu stecken, und es wird zu großen Teilen in Gesundheits- und Bildungs-Infrastruktur investiert. Davor ziehen wir unseren Hut und sind dankbar, das wir Moez und seine Familie kennen lernen durften! Er verabschiedet uns mit den Worten: „Wenn ihr je nochmal nach Daressalam kommt, sagt auf jeden Fall Bescheid!“


Kurz hinter Songea ist die ‚Villa Mossi‘ unser nächstes Ziel, hier wollen wir Willi, einen Freund von Conny und Matthes, besuchen. Außerhalb eines gemütlichen Ortes liegt sein Hof, den er in über zwanzig Jahren Stein für Stein komplett allein aufgebaut hat. Zwischen vielen Schatten spendenden Bäumen liegen die einzelnen Häuschen aus roten Backsteinen idyllisch auf einem kleinen Hügel. Der gelernte Landwirt, ursprünglich aus Deutschland, hält Schweine, Hühner und Kühe und versorgt sich so zum Großteil selbst. Winkend steht er bereits an der Straße, als wir um die Kurve kommen. Wir kennen uns bisher nicht persönlich, sind uns aber auf Anhieb sehr sympathisch. Willi ist mit seinen 70 Jahren unglaublich fit, er flitzt gleich erst einmal los, um uns frischen Kaffee und Kuchen aufzutischen. Das Gästebett hat er bereits bezogen und auch schon für das gemeinsame Abendessen eingekauft. Stilecht gibt es Schnitzel mit Pommes! Wir sitzen lange zusammen und unterhalten uns gut, wir haben das Gefühl, dass Willi sich sehr freut wieder einmal mit deutschen Reisenden plaudern zu können. Mit Liebe bereitet er uns am nächsten Morgen auch noch ein Frühstück, bei dem er uns noch einige Tipps für den letzten Teil unserer Reise in Tansania gibt. Unter Anderem empfiehlt er uns den Malawi See, der mit nur 100 Kilometern Entfernung quasi um die Ecke liegt. Diesen Rat nehmen wir gerne an. Wir verabschieden uns von Willi, und haben, wie so oft in den letzten Wochen, einen neuen Freund mehr im Gepäck.