Joshua Steinberg
Nairobi, 27.02.21
Reisewoche 23-25 (08.02.-27.02.21)
Sudan
Kilometer: 13.900 - 15.500
Fahrstunden: 243 - 260
1600 km gefahren in 17 Stunden aufgeteilt auf 19 Fahrtage
Gespannt brechen wir von Karthoum nach Süden auf. Vieles deutet darauf hin, dass die Grenze zu Äthiopien schwieriger werden könnte. Roland, ein Motorradreisender aus den Niederlanden, hat bereits vor zwei Wochen erfolglos versucht, die sudanesisch-äthiopische Grenze bei Metemma, im Nordwesten Äthiopiens zu überqueren. Wir versuchen es nun 500 Kilometer weiter südwestlich bei Kurmuk. Wegen der Benzin- und Wasserknappheit im Süden des Sudans sind wir voll bepackt. Wir haben wieder 78 Liter Benzin an Bord und pro Motorrad zehn Liter Wasser. Die Straße bis Damazin, dem letzten Versorgungspunkt vor der Grenze, 140 Kilometer nördlich vor Kurmuk ist asphaltiert. Über den weiteren Verlauf der Route an die äthiopische Grenze haben wir keine zuverlässigen Informationen. Die Sicherheitslage zwischen Kharthoum und Damazin und insbesondere zwischen Damazin und Kurmuk ist unklar. Von Reisen in die Region Blue Nile State wird gewarnt. Die Deutsche Botschaft teilt uns auf Nachfrage mit sie könne dort keinerlei Unterstützung gewähren. Der sudanesische Motorradreisende und Vorstand der Sudan Biker in Kharthoum Josef Ahbadi hilft uns schließlich die Route an die Grenze zu planen. Er vermittelt uns außerdem einen Kontakt, welcher uns mit den Formalitäten und dem Papierkram auf dieser schwierigen Strecke mit vielen Sicherheitskontrollen helfen soll. Wir fahren mit dem Gefühl gut vorbereitet und gut vernetzt zu sein Richtung Süden.
Die Gegend südlich von Kharthoum ist entlang der Hauptstraße sehr dicht besiedelt. Das Wildcampen ist wegen der vielen Felder nur schwer möglich. Am Abend wird sich schon was finden, hoffen wir. Zum Glück ist die Straße bis jetzt in einem vernünftigen Zustand. Ein Restaurant zur Mittagszeit ist auch schnell gefunden und wir kommen wirklich gut voran, sodass wir die Hälfte der Strecke nach Kurmuk bereits am ersten Tag hinter uns gebracht haben. Regelmäßig durchlaufen wir entlang der Straße verschiedene Polizei- und Militärkontrollen. Am Abend fragen wir an einer solchen Kontrolle nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Man schickt uns in die nächste Stadt. Nach einiger Zeit, direkt am Straßenrand sehen wir das erste Hotel und halten an. Ein etwas stoffeliger Sicherheitsmitarbeiter fordert uns auf, einen Moment zu warten, bis er den zuständigen Manager erreicht hat. Während wir warten, schauen wir uns um und sehen ungewöhnlich viele Hygienehinweise und Corona Hinweise im Eingangsbereich des Hotels. Nach einer Weile des Wartens wird uns klar, dass dieses Hotel zur Zeit nicht für Touristen ausgelegt ist, sondern als Corona Isolationszentrum verwendet wird. Unser Interesse an dem Hotel sinkt rapide. Wir machen uns auf und suchen trotz der Beteuerung, man würde ein Plätzchen für uns finden, eine andere Bleibe. Das nächste Hotel im Zentrum der kleinen Stadt Senna wird zum Großteil von Mücken bevölkert. Es gibt allerdings keine Moskitonetze. Zwischen den Schwärmen ist ohnehin kaum Platz für uns. Frustriert drehen wir rum, fahren die 20 Kilometer zur Polizeikontrolle zurück. Mittlerweile ist es stockduster und der Verkehr wird noch abenteuerlicher als er bei Tag schon ist. Wir fragen die Polizisten einfach, ob wir unser Zelt hinter dem Kontrollcontainer aufbauen dürfen. Überhaupt kein Problem! Die Polizisten sind etwas verwundert, aber sehr nett. Sie finden uns ein Plätzchen hinter ihrem Container und warnen uns noch eindringlichst vor den gefährlichen Schlangen, während vorne ein unbeleuchteter Lkw am anderen durch die Kontrollen rollt. Das Risiko, an einem Schlangenbiss zu sterben, ist hier wohl deutlich geringer als das Risiko, von einem dieser Lkws überrollt zu werden, denken wir bei uns.
Am folgenden Morgen schwitzen wir schon beim Zeltabbau. Es verspricht ein heißer Tag zu werden. Das heutige Tagesziel heißt ehrgeizig Damazin. Schließlich müssen wir in spätestens 36 Stunden an der Grenze stehen damit unser Corona Test noch anerkannt wird. Damazin ist Hauptstadt des Blue Nile State. Wir kommen etwas langsamer voran, die Straße wird schlechter und wir erreichen erst am Nachmittag die Eingangskontrolle des Militärs von Damazin. Hier werden wir erstmalig, 800 Kilometer südlich von Khartoum, nach einer Straßenbenutzungserlaubnis befragt. Diese wird von der Touristenpolizei in Khartoum ausgestellt und sein obligatorisch für die Straße Karthoum- Damazin. Wir stellen uns wie immer unwissend und behaupten, diesmal wahrheitsgemäß, von einer solchen Benutzungserlaubnis nichts zu wissen. Es hilft nichts. Ohne Erlaubnis dürfen wir nicht weiterfahren. Da wir nicht genau verstehen, was wir jetzt tun sollen, rufen wir unseren Kontaktmann an. Zu unserer Verwunderung geht eine junge Frau ans Telefon. Vorher haben wir uns weder persönlich getroffen, noch miteinander telefoniert. Wir vertrauten in dieser Sache einfach unserem Freund Josef Ahbadi und seiner Reiseerfahrung im Sudan. Es stellt sich heraus, dass wir nicht enttäuscht werden sollen. Mit einer Seelenruhe diskutiert unsere Helferin Hatoon mit den Polizisten. Nach einer halben Stunde in der sengenden Nachmittagshitze dürfen wir dann endlich weiterfahren. Man einigt sich darauf, dass wir die Erlaubnis im Nachgang bei der Polizeidienststelle Damazin einholen dürfen.
Damazin ist eine gemütliche Kleinstadt im Herzen des Blue Nile State. Die Region Blue Nile State zählt zu den am wenigsten entwickelten Gegenden Afrikas. Es ist später Nachmittag, die Tagestemperaturen haben die 40 Grad überstiegen. Auf der Straße und vor allem den kleinen Wegen und Pfaden zu beiden Seiten herrscht reger Betrieb. Die Menschen, die nun zu Fuß zurück in die Stadt strömen, haben von Sonnenaufgang an auf den Feldern gearbeitet. Als wäre das nicht genug tragen viele von ihnen, meist die Frauen, noch große Bündel Holz oder Kanister voll Wasser auf dem Kopf. Der Schweiß rinnt ihnen unterm schwarzen Kopftuch hervor ins Gesicht, während sie viele Kilometer zu ihren Hütten zurücklegen. Als wäre es nicht genug mit sich selbst, seiner Müdigkeit und der Last auf den Köpfen fertig zu werden, heben sie die freie Hand, winken freundlich und werfen uns ein Lächeln entgegen, wenn wir vorbei fahren, wie es bei uns in der Heimat manche am frühen Morgen nach einem langen Schlaf nicht hinbekommen würden. Wir sind einfach fasziniert von dieser Lebensenergie. Die gezeichneten Gesichter sprechen Bände über ihren harten Alltag, doch wenn sie auch nur einen noch so kleinen Grund zum Lächeln finden, dann geht die Sonne in ihnen auf. Wenn sie lächeln, hat man das Gefühl, man könnte durch die Augen direkt in die Seele schauen. Es ist ein ehrliches, aufrichtiges Lächeln. Mag der Alltag noch so hart sein und die Lebensumstände noch so schwierig, es scheint als könne man den Menschen ihr Lächeln niemals nehmen. Sie tragen ihre Last mit Würde. Niemals würden sie sich als arm bezeichnen oder Hilfe annehmen, sofern nicht unmittelbar notwendig. Leider ist dies öfter der Fall als man auf den ersten Blick denkt. So kämpfen die Menschen hier täglich: Mit dreckigem Wasser, Mangelernährung, Typhus, Cholera. Gewaltsamen Übergriffen, Dürre, Ernteausfällen und gerade die Frauen mit Geringschätzung , Zwangsheirat und Genitalverstümmelung. Hilfsorganisationen findet man hier wie Sand am Meer: Die UN, das WFP, das Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen, Oxfam, die EU, die GIZ, SOS Kinderdörfer und zahllose weitere kleine und große NGOs und staatliche Hilfsfonds.
Auf der Suche nach einem Schlafplatz sehen wir am Straßenrand den roten Halbmond aufleuchten. Kurzerhand drehen wir rum und fahren durch das Eingangstor auf die kleine Anlage des sudanesischen Roten Halbmondes. Es ist die zentrale Koordinierungsstelle der Projekte des Halbmondes im gesamten Blue Nile State. Ich zeige meinen Internationalen Rot Kreuz Ausweis und wir werden als Kollegen herzlich aufgenommen. In Hassan, dem Koordinator der verschiedenen Rothalbmond Projekte in der Region finden wir sofort einen neuen Freund. Auch sein Kollege und verantwortlicher Personalmanager Mohammed macht sofort einen sympathischen Eindruck. Als wir unsere Helferin Hatoon erwähnen, stellen wir schnell fest, dass wir in ihr eine gemeinsame Freundin haben. Sie ist nicht, wie ursprünglich angenommen, eine sudanesische Polizistin, sondern arbeitet für die internationale Rotkreuz und Rothalbmond Bewegung in Kharthoum als Projektkoordinatorin und Schnittstelle zwischen ICRC und RH im Bereich Damazin. Wir sind also durch Zufall genau am richtigen Ort gelandet. Hinter dem Bürogebäude können wir im Schatten unter einem großen Baum unser Zelt aufbauen. Am Ende dieses anstrengenden Tages hat uns die Hitze völlig fertig gemacht. Joana legt sich auf die kleine Mauer neben dem Zelt und schläft sofort ein. Wie gewohnt schaue ich mich zuallererst nach der nächsten Nahrungsaufnahmemöglichkeit um und finde unweit des roten Halbmondes ein kleines Restaurant. Anschließend lege auch ich mich schlafen. Es ist noch nicht mal dunkel.
Hassan nimmt sich den Vormittag frei, um mit uns die Erlaubnis des Militärs, der Polizei und der Touristenpolizei einzuholen für die vergangene Strecke Karthoum-Damazin, sowie die kommende Etappe nach Kurmuk. Nach den üblichen Formalitäten, dem Händeschütteln und freundlichen Bekunden des gegenseitigen Respekts bekommen wir von den Dienststellen eine offizielle Erlaubnis mit Siegel. Es sieht gut aus, bis die Touristenpolizei auf die Idee kommt vor der Ausstellung ihrer Erlaubnis die offizielle Genehmigung des obersten Generals der sudanesische Truppen an der Grenze zu Äthiopien einholen zu müssen. Zur Militärbasis haben wir keinen Zutritt und Hassan geht allein. Wir warten beim Roten Halbmond und widmen uns der Natur Fotografie und des guten Essens nebenan. Am Nachmittag kommt Hassan mit dem Sekretär des Generals zum roten Halbmond.
Schlechte Neuigkeiten! Vor zwei Tagen wurden 100 Kilometer südöstlich von uns in der Grenzregion Äthiopiens acht spanische Touristen in einer Rebellenoffensive getötet. Der General kann für unsere Sicherheit bis zur äthiopischen Grenze garantieren. Er hat allerdings präventiv die äthiopischen Streitkräfte auf der anderen Seite kontaktiert, um auch unsere Sicherheit auf der anderen Seite der Grenze zu gewährleisten. Er hat von seinen äthiopischen Kollegen in Erfahrung gebracht, dass ein großes Gebiet zwischen dem Sudan und dem Hoheitsgebiet der äthiopischen Streitkräfte als unsicher gilt. Die grenznahen Gebiete sind nicht unter die Kontrolle des Militärs zu bringen und es gibt jeden Tag bewaffnete Auseinandersetzungen. Auf seine Verantwortung können wir die Grenze nicht überqueren. Diesmal gibt es auch kein „auf eigene Gefahr“ Formular. Die Grenze ist geschlossen, die Straßen überwacht und auf der anderen Seite herrscht Krieg.
Wenigstens können wir jetzt ein paar Rotkreuz- und Rothalbmond Projekte hier im Blue Nile State besuchen. Hassan verspricht uns am Folgetag mit seinem Landcruiser mit zu nehmen, um uns einige der Projekte zu zeigen. Wasseraufbereitungsprogramme, Erste Hilfe Trainings, Corona Awarness, Landwirtschaftsprojekte, Brunnenbau, Flüchtlingscamps, Hygieneschulungen etc. Am nächsten Morgen dann warten wir gespannt auf die Abfahrt. 08:00 Uhr, 09:00 Uhr, 10:00 Uhr und niemand kommt, um uns abzuholen. Wir rufen Hassan an und fragen, wo das Problem sei. Er erklärt uns widerwillig, dass er von der Touristenpolizei keine Erlaubnis bekomme, uns mit zu nehmen. Es fällt ihm wirklich schwer uns diese schlechten Nachrichten mitzuteilen, so kurz nach dem letzten Rückschlag. Er ist sehr enttäuscht sein Wort nicht halten zu können. Kurze Zeit später bekommen wir einen Anruf von eben jener Touristenpolizei, dass wir keinen weiteren Tag in Damazin übernachten dürfen. Trotz unserer netten Helferin vom Internationalen Roten Kreuz, unseren Kontakten beim Roten Halbmond und der Freundschaft mit der Polizeidienststelle und dem General ist gegen diese Entscheidung nicht anzugehen. Die Touristenpolizei ist eine Mischung aus Tourismusministerium und Sicherheitspolizei. Keiner in dieser Truppe weiß so richtig, was eigentlich seine Aufgabe ist. Dazu kommt eine gefährliche Langeweile mangels Touristen, die zum Ersinnen willkürlicher Vorschriften gegen Touristen führt, um sich selbst wichtig zu machen und den Tag mit etwas Arbeit zu füllen. Je sinnloser desto besser. Nur um die guten Beziehungen unserer Helferin zu den Behörden nicht in Mitleidenschaft zu ziehen, willigen wir schließlich ein und brechen am späten Vormittag in der vollen Mittagshitze auf, um zurück nach Karthoum zu fahren. Es wird wohl ein weiteres Mal auf das Verfliegen der Motorräder hinauslaufen. Die zwei Tage von Damazin nach Karthoum gestalten sich noch anstrengender als die Hinfahrt. Wir fahren durch Sandsturm mit Sichtweiten unter 50 Metern und fressen so viel Staub wie noch nie zuvor. Die Temperatur übersteigt im Schatten die 40 und unser Wasser geht stetig zur Neige. Wenigstens Benzin haben wir genug. Am Abend des zweiten Tages schaffen wir es irgendwie nach Karthoum. Wir rufen kurzerhand unsere nette Helferin an, ob sie denn nicht eine günstige Unterkunft für uns wüsste. Natürlich mit dem Hintergedanken, einfach bei ihr zu übernachten. Allein die Stimme am Telefon hat mich schon mehr als neugierig gemacht, wer da wohl die Tür öffnen würde. Der Plan geht auf. Wir werden von Hatoon und ihrer Familie eingeladen. Als Gäste werden wir im angenehm kühlen Erdgeschoss neben der Küche untergebracht und bekommen unseren eigenen Raum.
Sie öffnet uns die Tür und vom ersten Moment an verlieben wir uns in ihr Lächeln. Wir setzen uns ins Wohnzimmer, trinken einen Kaffee und lernen sogleich die ganze Familie kennen. Vater und Familienoberhaupt Izeldin spricht sehr gut Englisch. Er hat schon viele Teile Europas und Afrikas bereist, er ist ein sehr freundlicher, weltoffener Mann und ein Experte für sudanesische Geschichte und Politik. Die Familie ist sehr gebildet und wir können uns über das Reisen, die Unterschiede unserer Kulturen, Philosophie und Politik, oder einfach übers Kochen unterhalten. Von Beginn an haben wir das Gefühl, wirklich willkommen zu sein. Es entsteht eine Verbindung, wie sie auch für uns nach vielen Ländern und Kilometern einzigartig ist zwischen unseren doch so fremden Kulturen.
Die Familie, gerade die Frauen, sind doch leider mit ihren Freunden hier im Sudan etwas glückloser als wir erahnen können. Man hat es in dieser Gesellschaft sehr schwer als gebildeter, weltoffener Mensch. Was man wie so oft als Tourist nur am Rande mitbekommt, trifft die Einheimischen mit voller Härte. Ein für unser Verständnis normales, freies Leben zu führen ist hier unmöglich. Von den drei Töchtern hat jede ihr eigenes Päckchen zu tragen und jede hat ihre eigenen Erfahrungen mit der konservativen Gesellschaftsordnung und der übertriebenen Machtstellung des Mannes gemacht. Alle drei sind geschieden. Zwei haben bereits Kinder, wobei die Männer den Unterhalt verweigern und sich nicht um die Kinder kümmern. Die Jüngste hat schon vorher, in früher Kindheit, nicht die besten Geschichten von Männern zu erzählen, die bei der Familie zu Besuch waren.
Wir sind erschrocken, aber auch dankbar einen derart tiefen Einblick in die weibliche Seite der arabischen Kultur zu bekommen. Nie zuvor haben wir eine solche Gelegenheit bekommen. Im Alltag, auf der Straße, in den Geschäften kann man sich mit den Frauen selten unterhalten, wenn man überhaupt mal welche trifft. Manche Dörfer und Städte scheinen nur aus Männern zu bestehen. Manchmal haben wir uns gefragt, ob die Frauen schon in Käfigen geboren werden. Wenn man den wenigen, die man trifft, ein nettes Lächeln zuwirft, dann lächeln sie schüchtern zurück, wenn niemand hinsieht. Erst hinter verschlossenen Türen zeigen sie ihr wahres Gesicht. Und selbst dort ist es nicht üblich dieses auch Männern zu zeigen. Zum Glück sind wir als Europäer etwas außen vor und die Damen haben auch zu mir gleich großes Vertrauen.
Wir bekommen wirklich einen tiefen Einblick aber über viele Geschichten, die sie erzählen, können wir nur den Kopf schütteln. Schwer ist es nicht nur für die drei Töchter Hatoon, Humsa und Hinda mit ihren vier Kindern Lina, Mustafa, Izeldin und Mila, sondern auch für Vater Izeldin und Mutter Huda. Sobald eine Tochter geschieden ist, zieht das den Ruf der Familie runter. Es bringt Schande über das Familienoberhaupt. Izeldin muss sich viele herablassende Kommentare und unfreundliche Fragen von seinen Bekannten, ja sogar der eigenen Familie gefallen lassen. Hatoon wird nicht gelobt für ihre Eigenständigkeit und ihren Beitrag zum Familieneinkommen sondern als Sonderling behandelt. Ein eigener Job mit einem Arbeitsplatz außerhalb des Hauses in einer Leitenden Position sollte nach Meinung vieler einem Mann vorbehalten bleiben.p Es scheint uns wie im schlechten Film und hätten wir diese Geschichten in einem anderen Kontext gehört, wir hätten sie nicht geglaubt. Das Leben hier scheint schizophren. Wo in der Öffentlichkeit verhüllt und verschwiegen wird, ein Trugbild der perfekten Frau projeziert und mit Lügen geschützt wird, bekommen wir hinter verschlossener Tür ein ganz anderes Gesicht zu sehen. Lachende, offene, gebildete Menschen, selbstbewusste Frauen, die mehr als die meisten Kollegen auf eigenen Beinen stehen und über ihre eigene Kultur oft nur den Kopf schütteln können. Dennoch ist es im Sudan, wie auch in anderen arabischen Ländern fast unmöglich ein freies Leben zu führen ohne die wichtigste Bande ihrer Existenz, die Familienbande, zu gefährden oder gar zu zerstören. Mit dieser Fessel werden die meisten unter Kontrolle gehalten. Viele Frauen werden hier bis heute beschnitten, sie werden teilweise gegen ihren Willen noch im frühen Alter versprochen und verheiratet, ihr Wert wird am Wert ihres Mannes bemessen. Männer können bis zu vier Frauen heiraten, während Frauen vor der Ehe nicht einmal Geschlechtsverkehr haben dürfen. Es ist normal eine Ehe sofort zu Lasten der Frau für ungültig zu erklären, sollte sich in der Hochzeitsnacht herausstellen, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Selbst schon erwachsene Frauen lassen sich auf Wunsch ihres Mannes vor der Ehe von traditionellen Heilerinnen genital beschneiden, um den Mann zu befriedigen.
Vater Izeldin und Mutter Huda sind nicht geschieden, haben sich allerdings getrennt. Sie leben dennoch in einem Haus, um das Gesicht der Familie zu wahren und die Töchter bei sich beheimaten zu dürfen. Im Sudan ist es so, dass Frauen sich scheiden lassen können und die Kinder in der Regel bei ihnen wohnen. Die Männer haben oft wenig Interesse am Großziehen ihrer Schützlinge. Findet die Frau jedoch einen neuen Mann, was oft sehr schwierig ist, da niemand eine beschmutzte Frau haben möchte, ist es ihr untersagt ihre Kinder mit in die neue Ehe zu bringen. Der einzige Mann, mit dem die Kinder je engen Kontakt haben dürfen, ist der leibliche Vater. So kommt es, dass die älteste Tochter, welche wieder verheiratet ist und mit ihrem neuen Mann lebt, ihre Kinder bei den Großeltern lassen muss, da sie nicht in dem Haus des neuen Mannes leben dürfen. Hatoon und Humsa, die beiden jüngeren Geschwister, kümmern sich also zusammen mit Izeldin und Huda um die Kinder von Hinda. Humsa hat dabei selbst eine kleine Tochter, Mila. Das Gute daran ist, dass niemandem langweilig wird und auch die Großeltern sich immer gebraucht fühlen. Der Zusammenhalt innerhalb der Großfamilie ist gerade wegen all der Widrigkeiten sehr groß. Jeder ist für jeden da. Diese seltsamen Vorschriften führen entgegen unsere Erwartungen nicht etwa zum zerbrechen der Familie sondern schweißt sie weiter zusammen.
Am zweiten Tag unseres Besuchs bei Familie El Faki wird ein Familienessen geplant. Der Geburtstag vom jüngsten, Mustafa, und vom ältesten, Izeldin, wird gefeiert. Hatoon erzählt uns später, dass wir die Familie durch unsere Ankunft verändert haben. Vater und Mutter sprechen wenig miteinander. Kurz nach unserer Ankunft ist es zum ersten Mal seit langem passiert, dass beide gemeinsam an einem Tisch saßen und aßen. Aus Respekt vor den Gästen kommen alle zusammen. Izeldin, Huda und Hind, die älteste Schwester mit ihrem neuen Ehemann Mohammed, ihren Kindern Lina, Mustafa und Izeldin. Hamsa, Mila und natürlich Hatoon. Es freut uns, dass wir bloß durch unsere Anwesenheit für etwas Frieden sorgen können. Man scheint uns ein heiles Familienbild zeigen zu wollen, was unbeabsichtigt dazu führt, dass die Familie noch dichter zusammenrückt und so einige alte Gewohnheiten überdenkt. Das Essen ist hervorragend, der Nachmittag ist einer der schönsten auf unserer Reise.
So schön es ist sich treiben zu lassen und einfach die Zeit in dieser wunderbaren Athmosphäre zu genießen gibt es doch noch eine Kleinigkeit zu tun um hier auch wieder weg zu kommen bevor das Visum wieder ausläuft. Mit Hilfe von Hatoon starten wir schließlich die Planung für das Verfliegen der Motorräder. Sie hat einen Kontaktmann am Flughafen, welcher die Papiere für uns erledigen kann. Ihr Onkel hat einen großen Pickup und hilft mir hilft Holz und Werkzeuge für das Verpacken der Motorräder zu besorgen. Mit Mila und Mustafa als Helfer beginne ich die Paletten für die Motorräder zu bauen. Hatoon kümmert sich um die Abfertigung des Zolls und fünf Tage später stehen die Motorräder fertig verpackt auf einem LKW ihres Vaters und fahren zum Flughafen. Durch Hatoons und Izeldins Hilfe sparen wir im Vergleich zu anderen Reisenden gut 40% der Frachtkosten und Zollgebühren. Ohne je ein Wort darüber zu verlieren, scheint es selbstverständlich, dass man uns hilft, obwohl viel Zeit und Nerven dafür draufgehen.
Nachdem die Motorräder abgefertigt wurden, müssen wir die Gebühren entrichten. Im Sudan gibt es für uns keine Möglichkeit an Geld zu kommen. Visa, Master, Amex, Maestro, Euro, Schecks, keine unserer üblichen Bezahlmethoden funktioniert im Sudan und die Inflation im Land ist bedenklich. Hauptursache ist das von den USA initiierte und wie immer von der EU brav abgesegnet Wirtschaftsembargo. Einziges Zahlungsmittel für uns ist Dollar, was natürlich den USA in die Hände spielt und ihre Währung stärkt. Was wir an Dollar bei Einreise in den Sudan dabei haben, ist unser einziges Kapital. Auf dem Schwarzmarkt beträgt der Wechselkurs Dollar zu Sudanesischen Pfund zwischen 300 und 400 Sudanesische Pfund pro Dollar. In der Bank auf legalem Wege bekommen wir pro Dollar 55 sudanesische Pfund. Sollten wir zum Bank Kurs wechseln, kostet uns der Motorradversand circa 7000€. Wechseln wir unser Geld am Schwarzmarkt, reduzieren sich die Kosten auf circa 1000€. Der Dollarkurs am Schwarzmarkt variiert täglich. Wie schon in Südamerika haben wir mit dem Wechselkurs kein Glück und einen Tag bevor wir die Gebühren entrichten müssen, fällt der Dollar auf 290 sudanesische Pfund. Vier Tage später steigt er wieder auf 370. Wir verlieren über Nacht also circa 350€. Sehr ärgerlich. Dazu kommt das hohe Risiko, erwischt zu werden beim Tauschen einer derartig hohen Summe. Sowohl der Wechsler als auch der Käufer machen sich strafbar. Ganz davon abgesehen ist es nicht sehr angenehm im Sudan mit dem Jahreslohn eines durchschnittlichen Arbeiters durch die Gegend zu laufen. Hatoon und ihr Vater Izeldin tun alles, um für mich einen besseren Kurs zu bekommen, aber ich möchte nicht, dass sie unser Risiko tragen. So gehe ich alleine in die Stadt mit 2000 Dollar in der Tasche und Wechsel unser Geld fürs Motorrad. Erfolgreich, aber zu einem sehr schlechten Kurs. Der Motorrad Versand kostet uns pro Maschine inklusive aller Gebühren und Materialkosten circa 1100€. Die Motorräder fliegen von Karthoum über Istanbul nach Nairobi. Uns bleibt noch eine Woche bevor wir selbst hinterher fliegen.
Wenn nicht gerade gebastelt oder geschrieben wird, gehe ich mit den vier Mädels Kaffee trinken oder lade sie zum Essen ein. Wir werde hier im Sudan immer respektvoll angeschaut, wenn wir im Restaurant aufschlagen. Wir scheinen ein komisches Gespann ab zu geben. Wahrscheinlich gehen sie davon aus, dass ich sie alle geheiratet habe. Sobald etwas nicht in die traditionellen Vorstellungen passt ist es sehr sonderbar und es muss erstmal verdaut werden. Eine verrückte Welt, die wir wohl nie verstehen werden. Selbst in dieser aufgeschlossenen Familie werde ich oft mit Staunen betrachtet, wenn ich am Herd stehe und Frühstück oder Abendessen bereite. Auch schauen mich die Menschen auf der Straße manches mal seltsam an, wenn ich mit Mila auf den Schultern zum Supermarkt gehe oder mit ihr am Straßenrand Faxen mache. Es ist sehr untypisch in der Öffentlichkeit zu spielen, gerade für Männer. Man widmet den Kindern hier gewöhnlich nicht so viel Zeit wie es bei uns üblich ist. Spielsachen haben wir im Sudan bis jetzt nicht gesehen aber die Kids finden immer etwas um sich zu beschäftigen. Da es vor der Schule aber keine Öffentliche Betreuung gibt fangen sie erst spät an strukturiert zu zu Basteln oder zu Lernen. Die Energie der kleinen ist deshalb keinesfalls geringer und so haben wir umso mehr Spaß zusammen und kümmern uns nicht um die üblichen Gepflogenheiten.
Wir machen uns nützlich, wo wir können. Das Haus ist weitläufig und schön Möbliert. Es hat einen offenen arabischen Charakter aber durch Jahrelange Embargos, viele Stromausfälle und geringe Qualität des Handwerks hier gibt es doch viel zu tun wenn man genau hinschaut. Die Stromausfälle sind ein Großes Hindernis während der Arbeit. Einen Moment ist man noch am bohren auf der Leiter, im nächsten Moment geht das Licht aus, der Bohrer läuft langsam aus und man steht im Stockdusteren Raum und kommt nicht mehr von der Leiter. Manchmal t der Strom nach ner Stunde zurück, manchmal dauert es einen Tag. Trotz schwieriger Bedingungen gebe ich mein bestes. Ich kümmere mich um kaputte Lampen, defekte Wasserboiler, zerbrochene Schaukelstühle, schief hängende Spiegel, klemmende Türen, leckende Klimaanlagen, miserabel verkabelte Steckdosen und baue Hatoon eine hübsche Schminkecke. Joana sucht ein paar schöne Bilder aus und druckt sie zur Verschönerung der kahlen Wände und zur Erinnerung an die gemeinsame Zeit aus.
Wenn abends noch Energie übrig ist gehe ich mit Hatoon aufs Dach und wir reagieren uns ab. Machen eine kleine Trainingsstunde, Boxübungen, Dehnübungen und Sparring Kämpfe bis keiner die Arme mehr oben halten kann. Als uns die fremde Dame mit dem Kopftuch die Tür zu ihrem Haus am Stadtrand Karthoums öffnet und freundlich herein bittet, hätte keiner von uns gedacht, dass wir mal gemeinsam auf dem Dach stehen und uns in kurzen Sportklamotten und Boxhandschuhe umkreisend um den besten Treffer zu landen oder das Gegenüber zu Boden zu werfen.
Oft haben wir das Gefühl wir lägen auf Augenhöhe und könnten über alles Erdenkliche sprechen. Hin und wieder aber ist es, als spräche man mit Heranwachsenden, die noch nichts von der Welt verstehen. Als wir das erste Mal abends ausgehen, fängt Hatoon gegen 23 Uhr an mit hektischem Gesichtsausdruck auf die Uhr zu schauen und uns zum Aufbruch zu bewegen. Wir gehen davon aus, dass es jetzt auf eine Party oder in die Disco geht. Um 23:45 stehen wir vor der Haustür und bekommen erklärt, dass Hatoon und Humsa nach 0 Uhr im Haus sein müssen. Das sei schon sehr liberal von ihrem Vater solche Eskapaden überhaupt zu tolerieren. (Wir waren nur essen) Hatoon ist wohlgemerkt 35 Jahre alt. Wir haben die gleichen Werte und die gleichen Vorstellungen, doch die Kultur trennt uns manches Mal meilenweit. Nur um uns dann wieder zusammenzuschweißen. Es ist sehr schwer zu erklären, dieses Gefühl so dicht und doch so weit entfernt voneinander entfernt zu sein. Hatoon zweifelt mittlerweile, ob sie in dieser Gesellschaft auf Dauer leben kann. Das Land befindet sich nach der Revolution zwar im Umschwung, aber es wird noch Jahrzehnte dauern bis sich wirklich etwas ändert. Sie bewirbt sich auf einen Studienplatz einer französischen Universität, um ihren zweiten Master in Business Administration abzuschließen. Ihre Ansichten werden während dieser Zeit wohl auf eine harte Probe gestellt und sie weiß selbst noch nicht genau, wo sie ihr Weg hin trägt, aber die Diskriminierung gegen ihr Geschlecht wird sie nicht ewig ertragen können.
Wir nutzen die letzte Woche, um noch etwas vom Sudan zu sehen. Zu unserer Verwunderung möchten Hatoon und Humsa sich uns anschließen. Es gleicht einer kleinen Sensation, als Vater Izeldin ohne größere Einwände unsere gemeinsame Reise befürwortet. Man bedenke, die beiden dürfen nicht länger als 0 Uhr ausgehen. Hatoon möchte schon seit Jahren nach Port Sudan reisen, was nur eine Tagesfahrt nordöstlich von Karthoum liegt und ist bis jetzt doch nie dort gewesen. Ich bin ein wenig stolz, dass nach so kurzer Zeit so großes Vertrauen in mich gesetzt wird. Denn als Mann bin ich hier wohl verantwortlich für die vier Mädels.
Zwei Tage später mieten wir uns ein Auto samt Fahrer. Autos werden hier ohne Fahrer nicht vermietet. Die Begründung ist, dass es sicherer wäre, weil die Fahrer sich im Sudan auskennen und im Sudan den Führerschein gemacht hätten. 100.000 Kilometer auf dem ganzen Globus, zahlreiche Sicherheitstrainings, eine der schwersten Führerscheinprüfungen der Welt und die Herkunft aus der Auto-Nation überhaupt überzeugen hier niemanden und so müssen wir uns zu sechst mit zwei funktionierenden Anschnallgurten (wovon einer nie genutzt wird, weil unser sicherheitserfahrener Fahrer sich nie anschnallt) und defekter Beleuchtung bei bedenklichen Zustand der Bremsen neben einen definitiv kurzsichtigen und seit Jahren an unbehandeltem Diabetes erkrankten Fahrer setzen, der von nun an 15 Stunden am Stück Richtung Küste brettert. 800 Kilometer. Auf sehr bedenklicher Straße, die wegen der vielen schlaftrunkenen LKW Fahrern und der hohen Unfallrate als Todesstraße bezeichnet wird. Morgens um 03:00 Uhr geht es los. Leider haben wir nur vier Tage, da Hatoon kurzfristig nicht länger frei bekommt. Was soll’s. Genießen wir das Abenteuer der Straße ans Rote Meer. Nach 15 Stunden Fahrzeit und ein paar schönen Zwischenstopps kommen wir spät abends in Port Sudan an. Im Hotel werden wir nach unseren Familien Verhältnissen gefragt. Als wir erklären, dass ich mit keiner der Frauen verheiratet bin und Mila nicht mein Kind ist, möchte man uns am liebsten drei Appartements anbieten. Da wir nicht verheiratet sind, dürfen wir nicht im selben Apartment wohnen. Mann und Frau getrennt. Viel Geduld habe ich dieser Kultur entgegengebracht, doch an diesem Punkt ist Schluss. Ich erkläre, dass es den Rezeptionisten einen Scheiß angeht, wer mit wem verheiratet ist, wer mit wem schläft und wer mit wem Kinder hat! Wir nehmen ein Apartment! Für vier Nächte! Wir möchten nicht gestört werden! Scheinbar hat man als Europäer hier doch einen etwas höheren Stellenwert und es wird nicht weiter nachgefragt. Nach etwas Preisverhandlungen und dank unseres Geduldigen Helfers Jiddoh der fast beschämt ist über die Preise die sie von uns verlangen möchten bekommen wir auch fast den Einheimischen Preis für die Nacht im Apartmen. Wir genießen drei Tage den schönen Blick vom vierten Stock auf dem Balkon über Port Sudan.
Es ist eine wunderschöne Zeit, die wir hier am Roten Meer verbringen. Sie schweißt uns noch mehr zusammen. Wir gehen gemeinsam Tee trinken an der Uferpromenade, genießen den Sonnenauf- und Untergang am Strand und Hatoon und Humsa trauen sich zum ersten Mal in ihrem Leben ins Rote Meer zum Schnorcheln. Die Tour ist ein voller Erfolg. Wir essen traditionell in einer kleinen Fischerhütte am Strand von einem Teller mit den Freunden unseres Taxifahrer und geben ein paar Geschichten aus der Heimat zum besten. Wir lernen viele neue Freunde in Port Sudan kennen und tauchen noch tiefer in die Kultur ein. Leider ist der Ausflug viel zu schnell rum. Die Rückfahrt wird wiederum ein Abenteuer und Hatoon und ich liegen uns wieder einmal in den Haaren. Unsere Charaktere sind sich einfach zu ähnlich und keinem von uns fällt es leicht die Führerrolle mal abzugeben. Sie ist bei Streitfragen mit ihrem arabischen Temperament und ihren schlechten Erfahrungen mit Männern, die ihr sagen wollen, was sie tun soll, noch schneller auf der Palme als ich. Diesmal streiten wir uns um ein typisch deutsches Thema: Pünktlichkeit. Sie muss am nächsten Tag arbeiten. Ich mache Druck, damit wir zügig abfahren können. Erfolglos. Es dauert, es verzögert sich, die Koffer sind noch nicht gepackt, der Fahrer wartet vor der Tür. Es will einfach keine Disziplin einkehren, woraufhin ich mir auch Zeit lasse, alles zu tun worauf ich gerade Lust habe. Das wird dann als Provokation verstanden, weil man ja bisher nie auf mich warten musste. Der folgende Disput führt mal wieder zu 24 Stunden Sendepause zwischen uns. Wie schon zuvor sprechen wir uns aus, vertragen uns wieder und der Disput schweißt uns noch weiter zusammen. Manchmal ist es wie im Kindergarten. Andere Länder, andere Sitten denke ich bei mir und nehme es einfach hin. Am folgenden Abend laden wir die ganze Familie zum Pizza Essen ein, wobei die Pizza natürlich selbst gemacht wird. Vater Izeldin behauptet, er habe nie eine bessere Pizza gegessen. Die ganze Familie sitzt zusammen am Tisch, wir teilen an diesem Abend die gedruckten Bilder aus, die wir von der Familie geschossen haben und jeder bekommt ein Andenken. Sie sind sichtlich gerührt von dieser einfachen Geste. Wir sind froh zumindest eine Kleinigkeit zurück geben zu können. PpEs ist ein wunderschöner, doch auch trauriger Abschied. Wir wissen, dass wir bald aufbrechen müssen. Wir sind uns so nahe gekommen in diesen drei Wochen, wie es noch bei keiner unserer Reisebekanntschaften der Fall war.
Jeder ist uns ganz persönlich ans Herz gewachsen. Mit Mustafa habe ich tagelang die Paletten gebaut und das Haus auf Vordermann gebracht, mit Mila haben wir stundenlang gelacht, gespielt gelernt, und wieder gelacht. Französischstunden, Boxen und interkulturelle Diskussionen mit Hatoon auf dem Dach. Mit Humsa und Huda Haare färben, Henna malen, kochen und backen. Jeden Freitag beim „Hair Day“ konnten die Frauen sich austoben und auch ich bin nicht vor ihnen sicher mit meinem langen Haar. Wir haben viele unvergessliche Momente erlebt und die Gastfreundschaft war bewegend. Zwei Tage später haben wir Tränen in den Augen beim Abschied. Des Nachts um 01:00 Uhr fährt uns Vater Izeldin zum Flughafen. Als er uns ein letztes Mal die Hand gibt, stehen auch ihm die Tränen in den Augen. Er wartet noch ganze zwei Stunden am Flughafen, bis wir ihn aus der Maschine anrufen und mitteilen, dass wir nun sicher auf dem Weg nach Nairobi sind. Erst dann lenkt er seinen Wagen wieder nach Hause. Der Sudan war ein beeindruckendes Land voller bewundernswerter Menschen. Sie haben uns Demut und Dankbarkeit für unser privilegiertes Leben gelehrt und unser Verständnis für fremde Kulturen ist dank ihnen gewachsen. Entgegen der Anfänglichen Skepsis und der vielen Unzulänglichkeiten für Motorradreisende in diesem touristisch völlig unerschlossenen Land war es eine wunderbare Zeit. Wir werden noch lange an unsere sudanesische Familie denken und hoffen, dass wir uns eines Tages in Frankreich, im Sudan oder irgendwo sonst auf der Welt wiedersehen.
Wir unterstützen zum Kampf gegen dieses Verbrechen den Verein des Weltreisenden und Überlebenskünstlers Rüdiger Nehberg Target und möchten jeden, der etwas erübrigen kann, ermutigen, es uns gleich zu tun.